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ins ist klar: Mit Saubermachen kennen sie sich bei Kärcher aus. Die Firma mit Sitz in Winnenden bei Stuttgart ist einer der führenden Hersteller von Reinigungsgeräten und -systemen. Mehr als 14.000 Menschen arbeiten weltweit für das deutsche Unternehmen. Der Umsatz ist 2021 um 13,6 Prozent gewachsen und betrug erstmals mehr als drei Milliarden Euro.
Allerdings hat Kärcher im vergangenen Jahr nicht nur den Sandstein- und Mosaikboden des Kölner Doms gereinigt, auch die Ökobilanz der Schwaben glänzt blitzeblank. Und das hat nichts mit Greenwashing zu tun. Bereits seit 2021 produzieren alle 20 Werke weltweit CO2-neutral. Insgesamt sind die Emissionen von 17 Tonnen in 2015 auf 12,7 Tonnen in 2020 gesunken. Der Wasserverbrauch wurde beinahe halbiert. Und die Verpackungen bestehen schon heute zu 93 Prozent aus Papier. „Be the difference“ lautet das Motto, dem sich Kärcher verschrieben hat. Gerade erst wurde das Unternehmen dafür mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet.
Nachhaltigkeit wird für Unternehmen immer wichtiger
Das Rekordergebnis, die Ökobilanz, die Auszeichnung: Hartmut Jenner, Vorstandsvorsitzender, sieht sich auf seinem Weg bestätigt. „Am Ende des Tages ist ökonomischer Erfolg nicht die Voraussetzung für Nachhaltigkeit, sondern Nachhaltigkeit die Voraussetzung für ökonomischen Erfolg“, sagt er. Diesen Gedanken verfolgen sie bei Kärcher spätestens seit 2014 und dem Nachhaltigkeitsprogramm „Sustainability Excellence“ konsequent. Das hat das Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit zu einem Vorreiter in Deutschland gemacht.
Aber andere Unternehmen ziehen nach und haben Nachhaltigkeit auf der Agenda nach oben gerückt. So beurteilen laut Mittelstandsstudie der Commerzbank 80 Prozent der rund 2.000 befragten Unternehmen das Thema als maßgeblich für den dauerhaften Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Knapp 70 Prozent sehen darin eine Chance für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Bei der Umsetzung allerdings hapert es noch. Bislang verfolgt nur ein gutes Drittel der Firmen eine konkrete Strategie. Bei einem weiteren Drittel ist sie immerhin schon in Planung.
Nachhaltigkeit – was ist das überhaupt?
Aber was genau ist eigentlich zu planen? Was bedeutet es, nachhaltig zu wirtschaften und warum ist das wichtig? Wie entsteht eine gute Nachhaltigkeitsstrategie – und worauf kommt es an?
Fragen wie diese bekommt Prof. Dr. Laura Marie Edinger-Schons immer häufiger gestellt. Sie leitet den Lehrstuhl Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Mannheim, den sie 2016 gegründet hat. Sie sagt: „Unter nachhaltigem Wirtschaften verstehen viele nur den ökologischen Aspekt, also Klimaschutz. Dabei spielen auch Faktoren wie der Umgang mit Mitarbeitern, faire Produktionsstandards oder Lieferketten eine Rolle.“
Einen guten Überblick über die verschiedenen Bereiche liefern die sogenannten Sustainable Development Goals, kurz: SDGs. Sie sind Teil der Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung, auf die sich die Vereinten Nationen 2015 verständigt haben. Zu den 17 Zielen zählt beispielsweise, Armut zu bekämpfen, Bildungsangebote zu schaffen, Hunger zu lindern, bezahlbare und saubere Energie bereitzustellen oder Wirtschaftswachstum menschenwürdig zu gestalten.
Zusammengefasst werden diese Ziele in den sogenannten ESG-Faktoren. ESG steht für Environment, Social und Governance, also für Umwelt, Soziales und Führung. Für nachhaltiges Wirtschaften bedeutet das, unternehmerisches Handeln in Einklang zu bringen mit Klimaschutz, gesellschaftlicher Verantwortung und verantwortungsvoller Unternehmensführung.
Das klingt philosophisch, deshalb hat Edinger-Schons auch direkt ein Beispiel aus der Praxis parat: Der Outdoor-Ausrüster Vaude ist, wie die Firma Kärcher, einer der Vorreiter für Nachhaltigkeit in Deutschland. Das gilt spätestens, seit Antje von Dewitz 2009 die Geschäftsführung von ihrem Vater übernommen hat und die Nachhaltigkeitsstrategie konsequent weiterentwickelt. Dazu gehört nicht nur, den Wasserverbrauch zu reduzieren, weniger Chemie einzusetzen oder den CO2-Ausstoß entlang der Wertschöpfungskette zu verringern, sondern auch, dass die Produkte unter fairen Bedingungen produziert werden.
Mit Umweltschutz allein ist es nicht getan
Gemeinsam mit der Universität Mannheim entwickelt Vaude deshalb gerade eine App, um den Kontakt zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Produktion in Fernost zu pflegen. „Hierzulande kümmern sich Betriebe mittlerweile ganz gut um das Wohlbefinden ihrer Angestellten“, sagt Edinger-Schons, „aber Wellbeing muss doch auch bei den Partnerfirmen vor Ort möglich sein.“ Gesagt, getan. Bald kommuniziert Vaude per App mit den Belegschaften seiner 17 Zulieferer in China und Vietnam, erfährt aus erster Hand, wie es ihnen geht und wie die Arbeitsbedingungen dort sind. Die Technologie will die Universität übrigens auch anderen Firmen zur Verfügung stellen.
Mit Umweltschutz allein ist es also beim Thema Nachhaltigkeit nicht getan. Es ist ebenso wichtig, sich sozial zu engagieren und verantwortungsvoll mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umzugehen. Aber warum wird dieses ganze Thema Nachhaltigkeit überhaupt immer wichtiger? „Weil der Druck immer größer wird“, erklärt Edinger-Schons. Und tatsächlich steigt der Druck auf drei Ebenen: von innen, von außen und von oben.
Druck auf drei Ebenen
Für den Druck von innen sorgen die Kolleginnen und Kollegen. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage finden mehr als die Hälfte der Deutschen, dass Nachhaltigkeit im Berufsalltag eine wichtige Rolle spielt. Allerdings sind sechs von zehn Befragten der Meinung, dass die Rolle durchaus noch größer sein dürfte. Besonders groß ist dieser Anteil bei jungen Menschen. Und das ist gleichzeitig ein Risiko für die Unternehmen. Schließlich sind diese Menschen die Fachkräfte von morgen, die in Zukunft immer schwieriger zu finden sein werden. „Deshalb werden die fairsten und nachhaltigsten Unternehmen sich die Bewerberinnen und Bewerber aussuchen können, während andere das Nachsehen haben“, sagt Birgit Engler, Partnerin bei Porsche Consulting, das die Umfrage in Auftrag gegeben hat.
Den Druck von außen üben vor allem Konsumenten aus. Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen werden immer stärker nachgefragt. So achten etwa bei Lebensmitteln 52 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher darauf, ob sie nachhaltig produziert wurden. Bei großen Geräten für den Haushalt, also Waschmaschinen oder Trocknern, sind es immerhin 36, bei Kleidung und Schuhen 30 Prozent. Das haben die Berater und Beraterinnen von EY (Ernst & Young) herausgefunden. „Nachhaltigkeit ist in den Köpfen der Verbraucher angekommen“, sagt Klaus Ballas, Partner Advisory Services bei EY. „Für nachweislich umweltfreundliche Produkte sind sie nach eigenen Angaben bereit, mehr zu zahlen“, sagt er. Mehr als zwei Drittel der Befragten haben das angegeben.
Aber nicht nur sie sorgen für Druck von außen. Es ist auch der wirtschaftliche Rahmen, der sich verschiebt – zum Beispiel beim Thema Geld. „Wer seine Strategie nicht anpasst, wird Probleme kriegen, an Fremdkapital zu kommen“, sagt Professorin Edinger-Schons. Schließlich würden Kapitalgebende stärker darauf achten, wie nachhaltig und damit zukunftssicher ein Unternehmen aufgestellt ist. Es gilt: gute Nachhaltigkeitsstrategie, günstigere Kredite.
Auf der dritten Ebene, von oben, entsteht der Druck letztendlich durch den Gesetzgeber. Weil auch die Politik immer ambitioniertere Ziele ausspricht, lässt sie Forderungen folgen, mit Hilfe derer die Ziele auch erreicht werden können. Da ist zum Beispiel der Europäische Green Deal. Bis 2050, so haben es die Europäische Union und ihre 27 Mitgliedsstaaten beschlossen, wollen die Länder klimaneutral sein. In einem ersten Schritt sollen bis 2030 die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mehr als die Hälfte sinken, genauer gesagt um 55 Prozent.
Um das zu schaffen, hat die Bundesregierung das sogenannte Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht. Das Ziel der Regierung ist sogar noch ambitionierter: Sie will 65 Prozent schaffen. Deshalb kosten etwa Emissionen jetzt immer mehr Geld. Für eine Tonne ausgestoßenes CO2 zahlen Unternehmen zunächst 25 Euro. Bis 2025 soll der Preis auf 55 Euro pro Tonne steigen.
Mehr Pflichten für Unternehmen
Eine weitere Maßnahme ist das Lieferkettengesetz. Es verpflichtet Betriebe darauf zu achten, dass innerhalb ihrer Lieferketten auf die Umwelt geachtet, soziale Aspekte verfolgt und nicht gegen Menschenrechte verstoßen wird. Noch dazu sollen Unternehmen in Deutschland ab einer Größe von 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis Ende des Jahres verpflichtet werden, einen Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen. Bisher galt diese Pflicht nur für große Konzerne mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro.
Damit Unternehmen nicht unter dem Druck zerbrechen, müssen sie sich bewegen. Dieser Meinung ist auch Jan-Marten Krebs: „Allerdings ist es wichtig, nicht getrieben zu handeln, sondern die relevanten Aspekte aufzugreifen. Dafür braucht es eine strategische Ausrichtung.“ Krebs ist Vorstand der sustainable AG, die er 2008 gegründet hat. Mit mittlerweile 35 Angestellten hilft er Unternehmen dabei, strategisch nachhaltiger zu werden. Aber wie funktioniert das?
Wesentlichkeitsanalyse: wissen, was wirkt
Es beginnt mit einer Wesentlichkeitsanalyse. Das klingt bürokratisch, deshalb sagt Krebs es etwas anders: „Ich muss mir den Impact meines Unternehmens angucken.“ Mit anderen Worten: Was mache ich und welche Auswirkung hat das. Natürlich ist das von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Während der Chemiekonzern BASF zum Beispiel für rund ein Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich ist, steht der Onlinehändler Amazon eher für seine Arbeitsbedingungen in der Kritik.
Beides ist nicht besonders nachhaltig; zum einen in Sachen Umweltschutz, zum anderen in Sachen sozialer Verantwortung. „Bei der Wesentlichkeitsanalyse kommen Themen heraus, auf die ich mich fokussiere“, erklärt Krebs. Ist der Energieverbrauch zu hoch, kann in Effizienz investiert werden. Sind die Ressourcen knapp oder teuer, kann über Kreislaufwirtschaft nachgedacht werden. Ist die Lieferkette instabil, sollten die Produktionspartnerschaften kritisch beäugt werden. „Tchibo etwa hat sich angesehen, wie es den Kaffeebauern geht und welche Stoffe in der Textilproduktion verarbeitet werden“, erzählt Krebs, „seitdem verwendet das Unternehmen für Kaffee mehrere Nachhaltigkeits-Labels und lässt seine Produkte verstärkt aus Öko-Baumwolle produzieren.“
Transparenz und Aufklärung als Schlüssel für eine gute Strategie
Die Maßnahmen, die sich aus der Wesentlichkeitsanalyse ergeben, bündelt das Unternehmen in einer Strategie und arbeitet sie ab. Dabei sei es wichtig, sagt Krebs, den Menschen im Unternehmen gut zu erklären, warum Nachhaltigkeit nun eine Rolle in der Strategie eingenommen habe und man jetzt danach handele. „Aber dafür muss man diesen Prinzipien natürlich selber die angemessene Bedeutung einräumen“, erklärt der Unternehmer.
Jan-Marten Krebs beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit nachhaltigem Wirtschaften, seit 14 Jahren berät er Unternehmen dazu – und stellt ein Umdenken fest. „2008 saßen wir in den Kellern und mussten diskutieren, ob es den Klimawandel wirklich gibt“, sagt er. „Heute sitzen wir in den Chefetagen und überlegen, wie wir die Firmen zukunftsfähig machen.“ Zum Wohl der Welt – und der Wirtschaft.
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