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Vorausschauendes Fahren

Seit fast 13 Jahren fährt Stefan Schlitt Touristen und Touristinnen auf seinen Rikschas durch Köln – bis Corona kam und Gäste ausblieben. Kurzerhand gründete er eine zweite Firma: Lamica transportiert nun Waren statt Menschen. So meistern er und seine Mitarbeitenden die Krise.

Lesedauer: 5 Minuten
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enn Stefan Schlitt in der Kölner Innenstadt unterwegs ist, kommt es nicht selten vor, dass die Menschen ihn erkennen. „Hey, du bist doch der Rikscha-Mann“, rufen sie dann. Und das stimmt: Stefan Schlitt ist tatsächlich der Rikscha-Mann. Seit fast 13 Jahren fährt er auf seinem Dreirad mit Fahrradsattel und Gästekabine Menschen durch Köln. Erst als Freiberufler, seit 2013 als Unternehmer für seine eigene Firma Rikolonia. Auf seiner Rikscha gehört Schlitt zum Stadtbild, fast wie der Dom, die Hohenzollernbrücke oder der Hauptbahnhof, wo er häufig auf Gäste wartet.

Einschränkungen durch Corona

Aber seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wartete er vergeblich. Seine Kunden, meistens Kreuzfahrttouristen, Tagesgäste oder Städte-reisende, blieben weg. Stattdessen gab es immer neue Verordnungen. Zwar sei Rikschafahren nie explizit verboten worden, sagt er, aber Abstandsregel und Kontaktbeschränkungen machten sein Geschäft faktisch unmöglich. „Wir sind während der Lockdowns gar nicht mehr mit Gästen gefahren“, sagt Schlitt.

Aber statt sich der Krise zu ergeben, ist der Unternehmer positiv geblieben und hat schnell an einer neuen Geschäftsidee gearbeitet. „Ich dachte mir, die Menschen sind alle im Lockdown und bestellen sich ihr Essen nach Hause. Das könnten wir doch ausliefern.“

Lieferdienst mal anders

Also nahm er Kontakt zu Gastronomiebetrieben auf. Einer davon war die Kette L’Osteria, die in Köln sieben Restaurants betreibt, vier davon in der Innenstadt. Der Deal kam schnell zustande und so kutschierten die Fahrer, die Schlitt beinahe hätte entlassen müssen, statt Touristen und Touristinnen Pizza und Pasta durch die Stadt. Im Herbst kam ein weiterer Betrieb hinzu, für den Rikolonia einspringt, wenn die Fahrer und Fahrerinnen der Bestellflut nicht standhalten können. Und sogar die Produkte eines Zahntechniklabors fahren Schlitts Leute jetzt hin und her. „Wir bringen Abdrücke ins Labor und holen Prothesen wieder ab“, sagt er.

Die neue Geschäftsidee war kein Lückenfüller, sondern erwies sich als Initialzündung für
eine neue Firma, die Schlitt zusammen mit einem befreundeten Fahrradhändler jetzt gegründet hat: die LAMICA GmbH. „Der Name steht für Last Mile Cargo und beschreibt exakt, was wir tun: den Transport von Waren auf der sogenannten letzten Meile“, erklärt Schlitt. Statt mit einer Kabine für Gäste fährt die Flotte nun mit einer Art Kofferraum durch die Stadt. Der kann immerhin mit einem Gesamtgewicht von bis zu einer halben Tonne beladen werden.

Die Vorteile der Rikscha

Der Konkurrenz auf vier Rädern sind die umgebauten Rikschas in vielen Dingen überlegen. Während sich die Transporter in den vollgestopften Straßen der Innenstadt stauen, düsen die Räder einfach dran vorbei. Außerdem können sie sich in der engen Altstadt besser bewegen und finden immer einen Parkplatz. „Diese Flexibilität bringt mehr Tempo auf die letzte Meile“, sagt Schlitt. Hinzu kommt, dass seine Fahrräder im Gegensatz zum Dieseltransporter keinerlei CO2 in die Luft pusten. „Immer mehr Firmen achten darauf“, sagt der Gründer. Einige Kunden hat er bereits aus diesem Grund gewonnen. Zum Beispiel Memo, einen Versandhändler für nachhaltigen Bürobedarf, oder die Apotheke am Neumarkt, eine der größten der Stadt. Hinzu kommen noch jene Firmen, die Schlitt ohnehin schon für Rikolonia begeistert hatte. Die Idee, mit der Rikscha Waren zu transportieren, habe ihn schon lange immer mal wieder beschäftigt. „Corona hat uns jetzt dazu gezwungen“, sagt Schlitt.

Zur Rikscha kam er eher zufällig. Schlitt ist in Aachen geboren und in Leverkusen aufgewachsen. Er hat Maschinenbau- und Kommunikationswissenschaften in Aachen studiert. Und landete irgendwann in Köln, wo er neben der Uni als Assistent beim WDR arbeitete. Die Redaktion des Senders befand sich direkt am Hauptbahnhof. „Da habe ich zum ersten Mal eine Rikscha gesehen – und war sofort verzaubert“, sagt er. 2008 stieg er selbst aufs Rad.

Chefsache: Stefan Schlitt belädt die Box des Lastenfahrrads. Eine halbe Tonne Gewicht kann er mitnehmen

Und dieser Mut wurde auch belohnt. Beim Start seiner ersten Firma Rikolonia 2013 waren es fünf Rikschas, die er selbst und vier freie Mitarbeiter durch Köln fuhren. Heute hat der 45-Jährige zwei Unternehmen mit 23 Angestellten. Auch der Fuhrpark ist angewachsen – auf zwölf Rikschas; eine davon nur für Hochzeitspaare und eine, die er für TV-Produktionen umgebaut hat.

Schon jetzt freut sich Schlitt auf die Zeit nach Corona, wenn die Touristen zurückkehren und auch Stadtrundfahrten wieder zum Standardprogramm gehören, denn die machen in normalen Zeiten immerhin zwei Drittel seines Umsatzes aus. „Ich werde einfach mehr Personal brauchen“, sagt Schlitt, „aber daran arbeite ich bereits.“

Vorausschauendes Fahren – auf der Straße genauso wie am Steuer seiner Unternehmen.


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