„Wir brauchen die Kraft der Intuition“
Lesedauer: 5 Minuten
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Königsplan für Intuition
Herr Kindermann, Sie machen sich in dem von Prof. Robert von Weizsäcker und Ihnen entwickelten Führungskräftemodell Königsplan für Intuition und Bauchgefühl bei Entscheidungen stark. Das passt doch gar nicht zum Schach als einem von der Ratio geprägtem Denksport.
Stefan Kindermann: Das ist eine völlige Fehleinschätzung. Rechnerisch sind die Möglichkeiten im Schach unvorstellbar hoch. Schon nach dem ersten Zugpaar können 400 mögliche Positionen auf dem Brett entstehen. Die Zahl der möglichen Partieverläufe ist größer als die Zahl der Atome im Universum. Wer versucht, dies rational zu durch- denken, wäre hoffnungslos überfordert. Auch die besten Spielerinnen und Spieler der Welt brauchen die Kraft der Intuition. Dies gilt sogar für Computerprogramme. Künstliche Intelligenz wie Alpha Go Zero, die aus dem Erfahrungsschatz riesiger Datenmengen schöpft und daraus über die Gewichtung in ihren neuronalen Netzen Lösungen generiert, imitiert so in gewisser Weise die Funktionsweise menschlicher Intuition und ist damit klassischen Schachprogrammen überlegen.
Also sind Intuition und Bauchgefühl doch wichtig?
Sehr wichtig. Mit Intuition beziehungsweise Bauchgefühl schöpfen wir aus dem Erfahrungsschatz und dem Wissen unseres gesamten Lebens. Die Faustregel lautet: Je besser man sich als Expertin oder Experte in einem bestimmten Bereich auskennt, desto stärker und zuverlässiger ist die Intuition. Wenn wir die Intuition nicht mit ins Boot holen, verzichten wir auf eine sehr wertvolle Ressource.
Das Zusammenspiel von Ratio und Intuition
Was heißt das in der Praxis?
Wenn ich vor einer wichtigen Entscheidung stehe, sollte ich mir die Zeit nehmen für die Frage: Was sagt mein Bauchgefühl dazu? Finde ich das gut? Finde ich das schlecht? Es lohnt, dies in
einer Art Intuitions-Tagebuch zu notieren, auf das ich später zurückschauen kann, wenn ich mehr über die weitere Entwicklung des Projekts weiß. Im nächsten Schritt geht es dann um eine rationale Analyse. Im Idealfall weisen dann Ratio und Intuition in dieselbe Richtung. Falls nicht, haben wir Checklisten entwickelt, die je nach aktueller Situation einen Hinweis geben, ob ich im Zweifelsfall dem Bauchgefühl oder dem Verstand folgen soll.
Manche Führungskräfte schieben wichtige Entscheidungen vor sich her. Wie kann man die Aufschieberitis bekämpfen?
Da sollte man sich zunächst klarmachen, dass keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist. Im Schach unter Wettkampfbedingungen, wird immer mit einem Zeitlimit gespielt. Als Schachspieler sage ich gern im Scherz: Die Schachuhr ist auch eine Figur. Im Schach merke ich sofort, was passiert, wenn ich mich nicht entscheiden kann. Ich verliere das Spiel, weil ich die Bedenkzeit überschritten habe. Daher ist Schach ein gutes Training, um die Erfahrung zu machen, dass eine Nicht-Entscheidung zu einer Niederlage führen kann.
Was können Führungskräfte aus diesen Erfahrungen mitnehmen?
In der ersten Stufe des Königsplans geht es um die eigene Verfassung. Bin ich wirklich fit für die Drucksituation? Falls nicht, sollte ich etwas für mich tun. Dabei gibt es zwei Wege, auf meinen Zustand zuzugreifen: Über den Körper, wo beispielsweise die Veränderung meiner Körpersprache einen erstaunlich großen Unterschied machen kann. Und über die Kraft meiner Vorstellung. Hier ist ein probater Weg, sich gedanklich in eine Situation zu versetzen, in der ich im Vollbesitz meiner Kräfte war. Das ist keine Hexerei, es geht nur darum, Ressourcen freizusetzen, die schon vorhanden sind, auf die ich aber in der kritischen Situation keinen Zugriff habe. Das ist vom Prinzip so, als würde ich ein schönes Urlaubsfoto anschauen, um wieder in den damaligen Zustand einzutauchen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich dann wieder das Meer, ich höre das Meeresrauschen. Ebenso kann ich frühere „Power-Zustände“ aktivieren, um die anstehende Herausforderung zu bewältigen.
Aus Fehlern lernen
Kann man Ihre Strategie auch bei privaten Problemen anwenden? Etwa bei der Frage, ob man sich scheiden lassen sollte oder nicht?
Auch hier gilt es, die Kraft der Intuition mit der Ratio zu verbinden. Bei Professor Gerd Gigerenzer (gilt als bedeutendster deutscher Entscheidungssituationsforscher, d. Red) habe ich die folgende Geschichte gefunden: Ein Mann stand vor dem Problem, dass er sich in zwei Frauen verliebt hatte, sich aber nicht entscheiden konnte, welche er heiraten sollte. Nun bekam er den Rat, zu jeder der beiden Frauen aufzuschreiben, was er jetzt an ihr besonders toll fände und was ihn vielleicht in zehn Jahren stören könnte. Der Mann versah seine Einträge mit Punktewerten und befürchtete Gleichstand. Doch zu seiner Überraschung lag Kandidatin A klar vorne. Er sah ein letztes Mal auf den Zettel – und wusste genau, dass er Frau B heiraten würde! Dem Vernehmen nach hielt die Ehe viele Jahre. Dieses nur scheinbar paradoxe Szenario ist nach dem Modell Königsplan auf viele Entscheidungsprozesse übertragbar: Ganz am Anfang steht die Emotion oder die Intuition, in diesem Fall die Liebe zu zwei Frauen. Dann setzte der Mann seine rationalen Kräfte ein, und sammelte alle Informationen. Und erst ganz zum Schluss übergab er wieder an die Intuition, denn es geht um ein emotional betontes Szenario. Dieses Wechselspiel mit Intuition am Anfang und Ende und einer rationalen Struktur dazwischen ist oft sehr mächtig, um gute Entscheidungen zu treffen.
Wie kann man aus Niederlagen lernen?
Im Schach ist eine Niederlage in einem wichtigen Match wie ein Schlag für die Seele. Man ist oft tagelang völlig fertig. Dennoch habe ich als Schachprofi im Freundeskreis vor allem die Partien gezeigt, die mit furchtbaren Niederlagen endeten. Erst später ist mir klar geworden, warum. Durch die intensive Auseinandersetzung habe ich gelernt, diesen Fehler nicht noch mal zu machen. Also: Lernen aus Fehlern ist wichtig. Dann geht es um das Erkennen, was an dem Projekt trotz Scheitern gut gelaufen ist und dass man auf diese Phasen auch stolz sein darf. Genauso wichtig ist das Handeln nach Erfolgen. Oft hat man ein Projekt nur mit Glück zum Erfolg geführt. Und man macht es das zweite Mal exakt so wieder – und scheitert. In diese Erfolgsfalle tappen viele Investoren. Sie gehen nicht kritisch mit ihrem Erfolg um.
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