Ausgabe 01/23: Zukunft wird aus Mut gemacht

...

Mut tut gut

Umfragen unter Führungskräften zeigen: Mut ist eine Eigenschaft, die in vielen Unternehmen kaum eine Rolle spielt. Dabei ist diese Tugend gerade in diesen Zeiten wichtiger denn je. Was also tun?

Lesedauer: 10 Minuten

A

ls die Triebwerke der Maschine drei Minuten nach dem Start ausfielen, musste Chesley B. Sullenberger binnen Sekunden entscheiden, um 150 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder an Bord seines Flugzeugs zu retten. Der Kapitän der Airbus A320 auf dem Weg von New York nach Charlotte wagte die Notwasserung auf dem Hudson River. Das spektakuläre und später von Hollywood-Legende Clint Eastwood mit Tom Hanks verfilmte Manöver („Scully“) gelang. Alle Menschen in der Maschine überlebten an diesem kalten Januartag 2009.

Vielen Führungskräften fehlt Mut

Wenn Peter Brandl, Bestseller-Autor und Management-Trainer, vor Führungskräften referiert, spricht er oft über das Drama in Manhattan – als ausgebildeter Linienpilot kann er die fliegerische Meisterleistung beurteilen. „Zwischen dem Vogeleinschlag und dem Aufsetzen der Maschine im Hudson River lagen 208 Sekunden. In dieser Zeit hat die Crew im Cockpit dreimal versucht, den Motor wieder anzulassen, sich dann für die Notwasserung entschieden und die Checkliste abgearbeitet.“ Genau dieser Mut, in einer Krisensituation schnell und dennoch überlegt eine Entscheidung zu treffen, sei ein Lehrbeispiel für Führungskräfte. Denn denen fehle zu oft dieser Mut: „Wir haben Angst, Entscheidungen zu treffen, weil wir daran denken, was alles schiefgehen kann. Dabei übersehen wir eines: Wer nichts tut, erlaubt den Umständen, für ihn zu handeln. Damit gibt man auch die Kontrolle auf und überlässt sein Leben dem Zufall.“

Die Integration des Optimismus-Gen

Ist Mut inzwischen als Wert in deutschen Unternehmen sogar ein Auslaufmodell? Wer die aktuelle Führungskräftebefragung der Wertekommission, einem Projekt der „Initiative Werte Bewusste Führung“, studiert, kann zu diesem Entschluss kommen. Mit nur zwei Prozent rangiert der Unternehmenswert „Mut“ weit hinter Vertrauen (36 Prozent), Verantwortung (27 Prozent), Respekt (17 Prozent), Integrität (12 Prozent) und Nachhaltigkeit (6 Prozent). Dabei hatte die Untersuchung der TU München für den Begriff Mut essenzielle Tugenden wie „Neues zuzulassen und anzunehmen“, „Fehlerfreundlichkeit („Trial and Error“) und „Kraft zur Entscheidung und Veränderung“ hinterlegt.

 

Den Mut nicht verlieren, auch wenn‘s mal brenzlig wird: Wie finden Führungskräfte das „Optimismus-Gen“?

Ein erstaunliches Ergebnis. Schließlich braucht es angesichts des Megatrends Digitalisierung, der die Geschäftsmodelle vieler Branchen revolutioniert, unbedingt die Bereitschaft zu neuen Wegen. Und in der Bevölkerung gäbe es dafür sehr wohl ein stabiles Fundament. Denn trotz der Krisen, ausgelöst durch die Folgen der Pandemie und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, blicken laut einer aktuellen forsa-Umfrage im Auftrag der Gothaer rund drei Viertel der Deutschen optimistisch in die eigene Zukunft, zwei Drittel der Befragten schätzen sich darüber hinaus als mutig ein und haben in ihrem Leben schon einmal eine Entscheidung getroffen, die ihre Zukunft nachhaltig verändert und entsprechend viel Mut erfordert hat. Da stellt sich die Frage: Wie können Führungskräfte das im privaten Leben offenbar reichlich vorhandene „Optimismus-Gen“ in die tausenden kleinen, mittleren und großen Unternehmen des Landes implementieren und gerade in schwierigen Zeiten eine neue, positive Einstellung finden, um sich selbst und ihre Belegschaft in eine bessere Zukunft zu führen?

Mut zur Entscheidung

Es klingt paradox. Noch nie konnten Entscheidungen auf so viele Informationen begründet werde. Wer ein neues Produkt auf dem Markt einführen will, kann vorab unzählige Studien und Marketingberichte analysieren, der Vergleich mit einem Produkt aus einem noch so exotischen Land ist in aller Regel nur einen Mausklick entfernt. Das Problem: Genau diese Informationsflut überfordert uns, Fachleute sprechen vom „Choice Overload“. Für eine Studie boten die Wissenschaftler Sheena Iyengar und Mark Lepper verschiedene Marmeladensorten in einem Supermarkt in Kalifornien an, auf einem Tisch gab es 24 Sorten, auf dem anderen nur sechs. Bei der großen Auswahl probierten zwar 60 Prozent der Kundinnen und Kunden mindestens eine Sorte, aber nur drei Prozent kauften eine Marmelade. Bei der kleinen Auswahl probierten nur 40 Prozent, aber 30 Prozent erwarben auch ein Glas Konfitüre. Die Erklärung der Wissenschaft: Zu viele Optionen führen dazu, dass man lieber gar keine Entscheidung trifft.

Think big!

„Es wird immer schwieriger, Entscheidungen zu treffen“, sagt Rick Vogel, BWL-Professor mit Schwerpunkt Public Management an der Universität Hamburg der „Wirtschaftswoche“. Das Gehirn verzweifle an den vielen Möglichkeiten. Vogel sagt: „Uns stehen zwar mehr Informationen zur Verfügung, aber das ist kein echtes Wissen.“ Wie kann man den Informations-Overkill verhindern? Stephan Westermann, zertifizierter Management-Coach, Dozent und Gründer der Beratungsfirma devonSPORT vermittelt in seinen Workshops zum Thema Zukunft einen ungewöhnlichen Weg: „Die meisten Unternehmen beschäftigen sich mit der Marktentwicklung und treffen basierend auf Prognosen Entscheidungen, um ein Ziel zu erreichen. Wir klammern diesen Teil bewusst aus und springen einen Schritt weiter ins Übermorgen. Wir gestalten ein attraktives Bild einer Vision.“ Das Übermorgen könne durchaus fünf, sechs Jahre entfernt sein. Westermann hält dies für den „entscheidenden Schritt: Der Weg zu einem Ziel enthält zu viele Variablen, zu viele Hindernisse, zu viel Gegenwind. Verbunden mit dem Übermaß an Informationen kostet dies zu viel Mut.“ Stattdessen müsse alle Kraft dem „begehrenswerten Ziel“ gelten: „Dann kann ich auf dem Weg dahin auch mal links und rechts abbiegen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.“ Think big, groß denken, fordert Westermann: „Dann braucht es auf dem Weg nicht mehr so viel Mut.“

Mut zur Veränderung

Das Video hat längst Kultstatus. Im April 2007 fragte ein Reporter den damaligen Microsoft-Chef Steve Ballmer zum iPhone, das Apple-CEO Steve Jobs kurz zuvor erstmals präsentiert hatte. Ballmer kriegte sich vor Lachen kaum ein und gluckste: „500 Dollar für ein Telefon mit einem Mobilfunkvertrag? Das ist das teuerste Telefon der Welt. Es spricht noch nicht einmal Geschäftsleute an, weil es keine Tastatur hat.“
So kann man sich irren! Apples Smartphone-Innovation hat Tastenmodelle wie das Blackberry längst in die digitalen Jagdgründe befördert. Auch deutsche Giganten aus Wirtschaftswunder-Jahren wie AEG, Quelle oder Grundig haben den Wandel nicht überlebt. Aber es geht eben auch anders. Marc Fielmann, seit 2019 alleiniger Vorstandschef des größten deutschen Brillenkonzerns, trimmt mit aller Konsequenz das Unternehmen in Richtung Digitalisierung. Er investierte Millionen in ein neues Terminmanagement, um Wartezeiten zu reduzieren, sorgte mit einem Programm namens Fitting Box dafür, dass stark kurzsichtige Patienten und Patientinnen digital Brillen anprobieren können, ohne ihre aktuelle Brille abzusetzen.
Solche Innovationen in einem Konzern durchzusetzen, den der 50 Jahre ältere Vater über Jahrzehnte geführt hat, kostet Mut. Zumal manches auch scheiterte: „In Deutschland neigen wir zu einer Art Perfektionskultur. Bei Digitalisierung und Innovation muss man aber immer wieder neue Sachen ausprobieren. Auch wir haben Lehrgeld gezahlt.“

„WIR NEIGEN ZU EINER PERFEKTIONSKULTUR. MAN MUSS ABER NEUE SACHEN PROBIEREN“ Marc Fielmann, Vorstandschef des größten deutschen Brillenkonzern, über seinen Mut, konsequent auf Digitalisierung zu setzen.
...

Wie kann man in Unternehmen dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden den Aufbruch wagen, sich zu Innovationen mutig bekennen? Unternehmenscoach Westermann setzt auch da auf seine Visions-Strategie: „Wenn man auf ein begehrtes Ziel hinarbeitet, erscheint der Status quo gar nicht mehr so attraktiv. Dann drängt es förmlich nach Veränderungen.“ Das Ziel dürfe dabei ruhig zunächst fast unerreichbar erscheinen: „Nur dann schöpfen wir den Mut, unsere Grenzen zu verschieben.“ Doch wie kann es gelingen, Führungskräfte zu begeistern, die fürchten, dass dieser Weg sie überfordern könnte? „Es ist wichtig, dass diese Ängste geäußert werden“, sagt Westermann. Er plädiert für konsequent heterogen aufgestellte Teams. Mitarbeitende, die sich der Veränderung verschreiben, sollten eng mit skeptischeren Personen zusammenarbeiten, um eine Frontenbildung im Unternehmen zu verhindern. Diese Mischung sei wichtig. „Es ist letztlich wie im Sport. Nur mit jungen Wilden oder nur mit Leitwölfen gewinnst du keine großen Spiele.“ Den Mut zu Veränderung mit finanziellen Anreizen über Prämien für einzelne Mitarbeitenden zu fördern, hält Westermann für keine gute Idee: „Viel wichtiger ist doch, das solche Maßnahmen umgesetzt werden. Und dann sollten alle am Erfolg teilhaben, wenn das Ziel erreicht wird.“

„WENN MAN AUF EIN ZIEL HINARBEITET, ERSCHEINT DER STATUS QUO GAR NICHT MEHR SO ATTRAKTIV.“ Unternehmenscoach Stefan Westermann über die Eigenschaft von Führungskräften, sich mutig zu Innovationen zu bekennen.
...
Die Mischung macht‘s, dabei ist es wie im Sport: „Nur mit jungen Wilden oder nur mit Leitwölfen gewinnst Du keine großen Spiele. Erfolg im Team stellt sich erst ein, wenn die richtigen Personen zusammen arbeiten.“

Mut zur Fehlerkultur

Es ist eine Situation, die jeder in seinem Berufsleben schon erlebt hat. Man hat es verbockt. Ein IT-Projekt scheitert an technischen Problemen, ein wichtiger Kunde geht, weil die Deadline nicht gehalten werden konnte, ein entscheidendes Patent wurde zu spät angemeldet. Dann beginnt die Suche nach dem Schuldigen, niemand will die Rolle des Schwarzen Peters. Sich in einem Unternehmen zu einem schwerwiegenden Fehler zu bekennen, dürfte die größte Mutprobe im Job sein. Dabei gehören Fehler in die Natur des Lebens. Wir haben in der Schule von klein auf gelernt, aus Fehlern zu lernen. Warum fehlt uns dann später im Beruf der Mut, einfach zu sagen: „Sorry, das war meine Schuld.“ Die Neurologie erklärt dies mit dem Stress, den Fehler mit den Hirn-Areal-Reaktionen Bestrafung und Schamgefühl auslösen. Wer Fehler macht, schaltet fast automatisch in den Angriffs- oder Fluchtmodus.“
Auf dem Weg zu einer besseren, zu einer mutigeren Fehlerkultur lohnt ein erneuter Abstecher in eine Branche, wo jeder Fehler verheerende Konsequenzen haben kann – in die Luftfahrt. „Eine gute Fehlerkultur gehört zu unserer DNA“, sagt Dr. Frank Bayer, Personalchef bei Lufthansa Technik in Hamburg. „Für uns ist es extrem wichtig, dass jeder Beschäftigte mit Fehlern offen umgeht und diese sofort berichtet. Das Schlimmste wäre, wenn einem Mechaniker eine Schraube ins Triebwerk fällt, er nichts sagt und das Triebwerk dann in der Luft ausfällt.“ Deswegen schwöre man schon den Auszubildenden vom ersten Tag an ein: „Wenn du einen Fehler machst oder einen Fehler siehst, sprich darüber.“

Experte Westermann hält ein gesellschaftliches und mediales Umdenken für wichtig, wenn man eine solche Fehlerkultur entwickeln will: „Wir sehen es in der Politik und im Sport. Sobald ein Fehler passiert, wird der Kopf der in der Kritik stehenden Person gefordert. Umso schwieriger ist es, in Unternehmen eine andere Kultur zu entwickeln.“ Für wegweisend hält Westermann Unternehmen, die dieses Thema offensiv angehen: „Es gibt ein namhaftes Hotel, das den „Fehler des Quartals“ bei einem Champagner-Umtrunk kürt. Dabei geht es nicht um die Frage, wer den Fehler begangen hat, sondern nur darum, was man aus dem Fehler lernen kann.“ Für sein Unternehmen hat Westermann die Devise ausgegeben: „Lieber mit 80 Prozent starten als auf 100 Prozent zu warten.“ Der Wunsch nach totaler Perfektion sei ein Hemmschuh, viel besser sei es, auch mal einen Fehler zu riskieren.
Allerdings gelte dies nur bei Branchen, in denen ein Fehler keine katastrophalen Auswirkungen habe: „Wenn ich in ein Flugzeug steige oder auf dem OP-Tisch liege, will ich schon, dass Fehler mit aller Macht vermieden werden.“


...

Besuchen Sie unser Chefsache-Archiv!

Hier finden Sie zum Download sämtliche bisherigen Ausgaben der Chefsache.

Zum Archiv