„Man kann jeder Krise einen Sinn geben“
Lesedauer: 8 Minuten
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it Krisen kennt sich Bodo Janssen aus. Mit 24 Jahren wurde er entführt. Mit 32 verlor er seinen Vater bei einem Flugzeugabsturz und wurde von einem auf den anderen Tag Chef der Hotelkette Upstalsboom. Weil ihm seine Mitarbeitenden einen schlechten Führungsstil bescheinigten, floh Janssen ins Kloster. Heute ist der 47-Jährige mit sich und seiner Firma im Reinen.
Herr Janssen, sie sind verantwortlich für zehn Hotels, fast 1.000 Ferienwohnungen, 600 Mitarbeitende. Wie geht es Ihnen in Zeiten wie diesen?
Bodo Janssen: Wir kommen zum Glück gut zurecht und nutzen die Zeit. Wir haben die IT unseres Unternehmens umgebaut. Ein neues Markenkonzept für Upstalsboom ist entstanden, und wir sind mit diesem neuen Kleid gerade in der Anprobe. Und wir haben ein Start-up gegründet, mit dem wir Reisen veranstalten, sobald das wieder erlaubt ist.
Mitarbeitende sind Menschen, kein Mittel zum Zweck
Sie wirken sehr positiv. Wie ist das bei Ihren Mitarbeitenden?
Unterschiedlich. Es gibt die, die aktiv sein können. Die sind auch sehr euphorisch. Aber wir haben auch Mitarbeitende in Kurzarbeit. Deren Beitrag besteht derzeit darin, alles auszuhalten. Sie wissen: nur wenn wir durchhalten, überstehen wir die Krise.
Die Beziehung zu Ihren Mitarbeitenden ist ja eine besondere. Als Sie die Firma nach dem Tod Ihres Vaters 2007 von einem auf den anderen Tag übernehmen mussten, wurde Ihr Führungsstil in einer Umfrage als desaströs empfunden. Was war da los?
Ich habe damals den Fehler gemacht, Mitarbeitende nur als Mittel zum Zweck zu sehen, um mein Unternehmen auf Erfolgskurs zu halten und in die Zukunft zu führen. Menschen waren für mich nur Objekte. Ich habe mich nicht wirklich für sie interessiert. Ich wollte nur, dass sie funktionieren. Das konnte nicht gut gehen.
Wie verkraftet man es überhaupt, wenn man als junger Mensch den Vater, der auch der Chef ist, verliert?
Da kamen damals mehrere Dinge zusammen. Mein Vater kam von einer Geschäftsreise zurück zur Familie; er hat sich gefreut. Außerdem hat er das Fliegen geliebt. Er ist in den Sonnenuntergang geflogen, es war ein traumhaft schöner Abend. Und durch den CO2-Überschuss im Flugzeug war er wohl schnell bewusstlos. In diesem Kontext habe ich bei aller Trauer auch über den Begriff Sterbequalität nachgedacht.
Sie waren damals erst seit gut zwei Jahre im Unternehmen. War klar, dass sie Ihrem Vater als Chef nachfolgen würden?
Ja. Als ich neben seinem Sarg stand, ist in mir etwas entstanden, das mir klargemacht hat: Ich werde diese Firma führen.
Das Kloster als Weg der Erkenntnis
Waren Sie durch den Tod Ihres Vaters und ihrer neuen Rolle im Unternehmen so überfordert, dass es automatisch zu Problemen mit den Mitarbeitenden kommen musste?
Nein, ich fühlte mich gar nicht überfordert. Ich hatte mir ja an der Uni in St. Gallen eine Menge Wissen zum Thema Unternehmensführung angeeignet. Erst später wurde mir klar, dass dies nur mehr die Krücke eines Managementsystems war. Es hat mir nur scheinbar geholfen, das Unternehmen zu führen. Und das hat auch nur mechanisch und rational funktioniert. Das Menschliche aber ist dabei viel zu kurz gekommen.
Sie sind dann ins Kloster geflüchtet. Wie sind Sie darauf gekommen?
Eine Journalistin hat mir von einem Hörbuch eines Mönches erzählt: ,Spirituell führen’ von Anselm Grün. Das habe ich mir angehört und war begeistert, weil es anders war als alle anderen Managerbücher. Als ich sah, dass er auch Seminare gibt, habe ich mich angemeldet und bin in die Benediktinerabtei Münsterschwarzach gefahren.
Sie sind rund eineinhalb Jahre geblieben. Was ist dort passiert?
Man erfährt im Kloster viel Ruhe. Pausen strukturieren den Tag, keine Termine. Die Ruhe hat mir geholfen, in Kontakt mit meinem Gewissen zu kommen. Unser Gewissen kann uns Hinweise geben darauf, ob das, was wir tun, in Ordnung ist. Mir wurde klar: Wie ich lebe, wie ich arbeite, wie ich Dinge sehe – da ist ganz viel nicht in Ordnung.
Gab es einen Schlüsselmoment?
Ja, die Verbindung von zwei Erfahrungen: Die Reflektion meiner Entführung und die Frage, was mich glücklich macht im Leben. Ich weiß jetzt: Glück sollte an nichts gebunden sein, was man verlieren kann. Jetzt ist es der Anblick glücklicher Menschen, der auch mich glücklich macht. Deshalb beschloss ich, meine Firma nach diesen Erkenntnissen auszurichten.
Der Mensch im Fokus
Spielte in diese Entscheidung auch hinein, dass Sie als Student entführt wurden? Was lernt man aus solchen Erfahrungen?
Nicht jede Krise hat einen Sinn, aber man kann jeder Krise einen Sinn geben. Ich kann klagen: Warum ist mir das passiert? Das führt zu nichts. Besser ist, dass ich mich frage: Wofür war das gut? Mir hat die Entführung etwas geschenkt, nämlich mich auf das zu besinnen, worauf es im Leben ankommt. Im Angesicht des Todes geht es nur um das wirklich Wesentliche – und das sind keine materiellen Dinge.
Wie sieht Ihre Firmenkultur heute aus?
Es ist eine sinn- und menschenorientierte Kultur. Sie ist darauf ausgerichtet, Menschen zu stärken und sie zu unterstützen, Aufgaben zu finden, die ihrer Persönlichkeit entsprechen. Bei uns soll niemand mehr verloren gehen.
Vertrauen in Mitarbeitende
Es klingt, als sei Ihre Firma eine Wohlfühloase. Wie krisenfest ist diese Kultur?
Corona war unsere Feuertaufe, und wir haben sie bestanden. Ich würde sagen: Unsere Kultur hat uns in der Krise gerettet.
Können Sie das näher beschreiben?
Wir leben Vertrauen und Verantwortung. Die Mitarbeitenden vertrauen darauf, dass ihnen keine Informationen vorenthalten werden und dass sie Entscheidungen selbst treffen dürfen. Ein Beispiel: die Entscheidung, in der Corona-Krise unsere Hotels zu schließen, haben die Mitarbeitenden selbst getroffen – weil sie nicht auf meine Entscheidung warten mussten. Sie wussten selbst, was zu tun ist.
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