„Wir müssen es schaffen, mehr Menschen nach Deutschland zu holen“
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Herr Professor Kritikos, bedroht der Fachkräftemangel unseren Wohlstand?
Prof. Alexander Kritikos: Der Fachkräftemangel wird das Wirtschaftswachstum in Deutschland einschränken, sollte die Politik keine Lösungen finden.
Auf der Suche nach Fachkräften
Die demografische Entwicklung – die Babyboomer-Generation verabschiedet sich nach und nach in den Ruhestand. Warum hat man nicht viel früher reagiert?
In der Tat ist das Problem des demografischen Wandels seit mindestens einer Generation bekannt. Deutschland hat seit rund zwei Jahr- zehnten einen Bedarf an jährlicher Zuwanderung von netto 400.000 Menschen. Mit anderen Worten: Wir sind ein Einwanderungsland. Eine vorausschauende Politik hätte dies frühzeitig erkennen müssen. Bis 2015 hatte allerdings Deutschland Glück. Diese Herausforderung konnte zeitweilig erstaunlich geräuschlos gelöst werden. Denn Deutschland profitierte von der Freizügigkeit für Beschäftigte innerhalb der EU. EU-Länder wie Portugal, Spanien, Griechenland und auch Italien steckten in wirtschaftlichen Krisen, entsprechend viele Menschen aus diesen Ländern sind als Fachkräfte nach Deutschland ein- gewandert – und niemand hat es gemerkt. Sie haben hier rasch Arbeit gefunden und zum Wirtschaftswachstum beigetragen.
Wir haben aktuell fast 2,4 Millionen Arbeitslose. Dann dürfte es doch eigentlich gar keinen Fachkräftemangel geben.
Die Zahl täuscht. Viele sind nur zwischen zwei Jobs kurzfristig arbeitslos. Daraus kann der jährliche Bedarf an zusätzlichen 400.000 Arbeitskräften nicht abgedeckt werden. Hier kommen bestenfalls die knapp eine Million Langzeitarbeitslosen in Frage. Bei diesen Menschen tritt aber häufig das Problem des „Mismatch“ auf: Die Qualifikation der Arbeitslosen deckt sich nicht mit den gesuchten Profilen. Das erschwert ihre Integration in den Arbeitsmarkt. Dennoch sollten die Arbeitsagenturen und Jobcenter versuchen, ihnen bei der Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu helfen. Aber das ist aufwendig und wird nicht reichen, um den Fachkräftemangel zu beheben.
Lösungsansätze gegen den Mangel
Müssen wir schlicht einfach länger arbeiten?
Eine längere Arbeitszeit bis 70 Jahre könnte ein weiterer Teil der Lösung sein, wird den Bedarf aber auch nicht abdecken bzw. verschiebt den Fachkräftebedarf unter Umständen auch nur um ein paar Jahre. Aus meiner Sicht wäre vor allem die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters wichtig. Warum sollen Menschen, die in den wissensintensiven Industrien und Dienstleistungen tätig sind, nicht auf eigenem Wunsch mit 70 noch arbeiten? In körperlich sehr anstrengenden Berufen ist das weniger möglich.
Nach wie vor arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer in Teilzeit. Auch dies verstärkt den Fachkräftemangel.
Das ist richtig. Wir müssen die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter erhöhen und es auch mehr Frauen ermöglichen, Vollzeit statt Teilzeit zu arbeiten. Dies geht nur über eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Deshalb lohnt jede Investition in die Tagesbetreuung von Kindern. Aber auch das wird nicht reichen. An einer qualifizierten Zuwanderung führt kein Weg vorbei. Die Politik muss endlich aktiv verkünden, dass wir ein Zuwanderungsland sind. Wir müssen es schaffen, mehr Menschen nach Deutschland zu holen, wir müssen attraktiver werden für Ausländer, damit gerade die Hochqualifizierten zu uns kommen und nicht in andere Länder gehen. Dafür brauchen wir nicht nur ein besseres Zuwanderungsgesetz, sondern auch eine offensive Politik, die offen sagt, dass wir qualifizierte Zuwanderung benötigen, wenn wir unseren Wohlstand aufrechterhalten wollen.
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